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Verfasst am 01.11.2017 um 15:00 Uhr

Die ganz große Herausforderung

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Klimaserie teil 1: Was wird sich für die Hauptstadt und die Kleingärten ändern?


von Fritz Reusswig, Gregor Weyer und Wiebke Lass


U Güntzelstraße,  Mitte 2006: Hochwasser nach starkem Regen; Foto: Corinna Holzer, pixelio.de

Der Klimawandel kommt: Die Unwetter des Sommers 2017 sind den meisten noch allzu gut in Erinnerung: Heftige Gewitter und Starkregen richteten überall in der Hauptstadt Schäden an. Zahlreiche Bäume stürzten um. Unterführungen und Keller waren überflutet. Der U- und S-Bahnverkehr war beeinträchtigt und die Berliner Feuerwehr rief schließlich sogar den Ausnahmezustand aus. Auch Kleingärten waren betroffen. Nur ein Beispiel: In der Anlage Neuland II nahe dem Flughafen Tegel am Ufer des Spandauer Schifffahrtskanals stand etwa das Wasser auf vielen Grundstücken fast einen halben Meter hoch. Auch für die Datschen in Friedrichshagen in der Niederung des Flüsschens Erpe hieß es mehrere Tage lang „Land unter!“


Vermehrte Wetterkatastrophen

Aber nicht nur in Berlin, überall auf der Welt treten solche Wetterkatastrophen auf – und zwar vermehrt. Wir alle kennen die Bilder aus den Nachrichten – ob Hurrikan in der Karibik oder Dürre in Ostafrika. Ein verregneter Sommer ist noch kein Beweis für den Klimawandel. Die Klimaforschung braucht Werte über mindestens dreißig Jahre, um einen Klimawandel feststellen zu können. Unsere Messreihen reichen mittlerweile sehr viel länger zurück und wir stellen fest: Während die globale Mitteltemperatur in den letzten hundert Jahren um 0,8 °C anstieg, erwärmte sich Europa im gleichen Zeitraum um rund 1,3 °C. Das klingt nach wenig, ist aber viel – ganz ähnlich wie beim menschlichen Körper, wo ein paar Grad mehr den Unterschied zwischen „gesund“ und „Fieber“ machen können.


Und wenn es uns nicht gelingt, den Anstieg der Treibhausgase zu stoppen – so wie es das Pariser Klimaabkommen von 2015 vorsieht – dann ist das alles erst der Anfang, denn das Klimasystem der Erde ist träge, d.h. es reagiert erst allmählich auf unsere weiter ansteigenden Emissionen.


Unter der Leitung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) hat ein Konsortium aus Instituten und Planungsbüros im Auftrag der ehemaligen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt ein Fachgutachten zur Anpassung an den Klimawandel in Berlin erstellt (AFOK). Das PIK war auch an der Erstellung des Berliner Energie- und Klimaschutzprogramms beteiligt (BEK). 


Der vorliegende Artikel leitet thematisch ein und möchte Wege aufweisen , wie man mit dieser Herausforderung umgehen kann – ganz individuell für jeden Kleingärtner, aber auch politisch. Was der Klimawandel genau für Berlin mit sich bringen wird, erläutern nachfolgende Artikel des PIK. Daran knüpfen sich Beiträge, die aufzeigen, wie und wo Berlins Kleingärten besonders betroffen sind, und wie ein klima-angepasster Kleingarten der Zukunft aussehen könnte – einer Zukunft, die bereits begonnen hat! Anschließend daran werden wir die städtebaulichen und politischen Aspekte diskutieren, die damit einhergehen.


Sommer 2017 in der Platanenallee: Stürme ließen vielerorts große Bäume umstürzen; Foto: privat

Unverzichtbare Bausteine und Teil der Lösung

Mehr Hitze, mehr Trockenphasen, aber phasenweise auch mehr Starkregenereignisse setzen Berlin zukünftig unter Druck – und damit auch die Kleingärten. Aber Kleingärten sind nicht nur betroffen und damit ein Teil des Problems, sie können auch ein wichtiger Teil der Lösung sein, unverzichtbare Bausteine der Berliner Anpassungsstrategie. Denn die durchgrünte und für Wasser durchlässige Stadt ist auch die Stadt, die mit dem Klimawandel besser umgehen kann. Der Fachbegriff hierfür ist Resilienz: die Fähigkeit eines Systems, dem Druck zu widerstehen oder wieder „aufzustehen“ nach einem Schlag. Aus der Stadtklimatologie wissen wir: Je dichter bebaut und stärker versiegelt eine Stadt ist, desto anfälliger für den Klimawandel ist sie. Sie heizt sich stärker auf, was unter anderem zu mehr Stress und mehr Herz-Kreislauf- sowie Atemwegserkrankungen führt – bis hin zu Hitzetoten in Extremfällen.


Die sind übrigens gar nicht so selten, wie man denken könnte. Zwischen 2000 und 2010 starben im jährlichen Schnitt etwa 1400 Berlinerinnen und Berliner durch Hitzeereignisse – während im Straßenverkehr 64 pro Jahr getötet wurden. Aber auch Pflanzen geraten bei mehr Hitze unter Stress – insbesondere dann, wenn diese mit vermehrten Trockenperioden einhergeht.


Mehr punktueller Starkregen

Das Besondere am Klimawandel in Berlin ist, dass auch die Niederschlagsmuster komplexer werden und sich verschieben. Unsere Modellrechnungen zeigen, dass es parallel zu mehr Hitze und periodischer Trockenheit eben auch zu mehr punktuellen Starkregen kommen wird – so, wie im Sommer 2017 bereits zu beobachten. Das macht insbesondere der Berliner Kanalisation zu schaffen, für die wir uns neue Lösungen werden ausdenken müssen – einfach mehr unterirdische Speicher zu bauen, wird nicht reichen. Es braucht eine Stadtoberfläche, die Regenwasser besser durchlassen und zwischenspeichern kann, um an heißen und trockenen Tagen die Stadt angenehm zu halten.


Das Berliner Stadtwachstum – mehr Menschen, mehr Gebäude und Verkehrsflächen – erhöht die Vulnerabilität Berlins, also die Verwundbarkeit für die Folgen des Klimawandels. Gleichzeitig setzt das Stadtwachstum aber auch die Grün- und Freiflächen unter Druck. Gerade die Berliner Kleingärtnerinnen und Kleingärtner haben das in letzter Zeit öfter erfahren müssen. Im Jahr 2020 läuft für zahlreiche Kleingartenanlagen die Schutzfrist aus. Betroffen sind laut Senatsverwaltung für Umwelt ganz oder teilweise mehr als 150 Anlagen im gesamten Stadtgebiet, rund 8 Prozent der Gesamtfläche aller Kleingartenanlagen.


Stadtwachstum verschärft die klimatische Verwundbarkeit der Stadt

Wir stehen also vor einer doppelten Herausforderung: Der Klimawandel gefährdet ganz Berlin und speziell auch seine Kleingärten, und das Berliner Stadtwachstum verschärft die städtische Verwundbarkeit und bedroht den Bestand der Kleingärten. Beide Probleme hängen sachlich zusammen und müssen auch zusammen angegangen werden: 

Es braucht eine klimatische Ertüchtigung der Berliner Kleingärten, damit sie widerstandsfähiger werden. Dies liegt nicht nur im Interesse der Kleingärtnerinnen und Kleingärtner, es liegt auch im wohlverstandenen Eigeninteresse der Stadt. Denn klimatisch ertüchtigte – oder eben klimaresiliente – Kleingärten erbringen auch eine ganze Reihe von Dienstleistungen für die gesamte Stadtgesellschaft: Sie verbessern das lokale Mikroklima, kühlen und befeuchten den Stadtraum auch über die Anlagen hinaus, sie absorbieren Staub, sie speichern Wasser, sie bieten kostengünstige Naherholung usw. Warum dann nicht über einen Stadtvertrag (Green New Deal) nachdenken: Die Kleingärten verbessern ihre Anpassungsfähigkeit und damit auch ihre Dienstleistungen für die Stadt, und diese sichert im Gegenzug deren langfristigen Bestand.



Dr. Fritz Reusswig, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)

Gregor Weyer, Luft Umwelt Planung GmbH (LUP)

Wiebke Lass, Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK)