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Verfasst am 01.01.2018 um 15:25 Uhr

Die Rolle der Kleingärten für die Klimaanpassung Berlins

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Anlagen sind als Kaltluftentstehungsgebiete gut aufgestellt – doch das Grünvolumen kann noch gesteigert werden

von Fritz Reusswig und Gregor Weyer 

Generell verbessern Grün- und Freiflächen das Stadtklima - eine Binsenweisheit. Doch welche funktionale Bedeutung haben die Kleingärten für die klimatische Entlastung in Berlin? Und wie lässt sich diese Entlastungsfunktion noch weiter optimieren? Dazu ist die genaue Analyse der Zusammenhänge der komplexen klimatischen Wirkungen unerlässlich; Luftströmung, Kaltluftentstehungsgebiete, Temperatureffekte der Sonneneinstrahlung auf Oberflächen unterschiedlicher Beschaffenheit, Verdunstungsrate, Auswirkungen unterschiedlicher Verschattung, ob natürlichen Ursprungs durch Vegetation oder künstlich: Diese unvollständige Auflistung zeigt, dass die Frage nicht einfach und nicht generell zu beantworten ist. Um dennoch zu Aussagen zu kommen, sind in vielen, meist empirischen Untersuchungen klimarelevante Eigenschaften zu Klimaindikatoren zusammengefasst worden, die letztlich eine einfache Beschreibung der komplexen Zusammenhänge wiedergeben.


Auch die Umweltverwaltung des Landes Berlin hat bereits die wesentlichen analytischen Grundlagen geschaffen. So ist für jeden Gebäudeblock die Wärmebelastung in einer vierstufigen Skala ermittelt worden (siehe Abb. 1). Berlins belastete Gebiete befinden sich dort, wo die Stadt stark versiegelt und dicht bebaut ist, also vor allem in den innerstädtischen Kernbereichen. Umgekehrt sind die Kaltluftentstehungsgebiete in erster Linie dort zu finden, wo sich die Stadt zu den Rändern hin ausdünnt, an Wasser- und städtischen Grünflächen. Wie man in der Grafik auch sehen kann, sind viele Berliner Kleingärten Teil dieser randstädtischen Entlastungszone, oft im direkten Übergangsbereich zu den dichter besiedelten Bereichen. Gerade hier sind sie für eine klimatische Entlastung wichtig. Der Detailausschnitt zeigt am Beispiel Wedding, Gesundbrunnen, dass diese Entlastungsfunktion bereits jetzt besteht: Die Belastungsgrade der benachbarten Siedlungsflächen sind moderat, ohne Kleingärten wären sie höher. Durch klimatisch funktionale Optimierung der Kleingartenflächen würde sich diese Entlastung aber noch weiter steigern lassen.


Abb. 1: Entlastungsfunktion von Kleingärten am Beispiel Wedding, Gesundbrunnen (Ausschnitt, oberer Teil): Die Belastungsgrade der den Kleingärten benachbarten Siedlungsflächen sind moderat und wären ohne Kleingärten höher. Datenquelle: Geoportal Berlin/ Kleingartenbestand Berlin, 2.5.2015

Notwendige Entlastung

Wie notwendig die Entlastungsfunktion ist, zeigt die summarische Betrachtung der mäßig und stark belasteten Flächen der Bezirke Berlins im Verhältnis zur Kleingartenfläche (siehe Tabelle). Die Bezirke mit der deutlichsten Belastung, Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg, verfügen jeweils nur über sehr geringe Anteile an Kleingartenflächen; in Friedrichshain-Kreuzberg stehen 28,1 Prozent belasteter Flächen lediglich 0,3 Prozent Kleingartenflächen gegenüber.


Neben der Betrachtung der lokalen Entlastung durch Kleingärten im Stadtgebiet erlaubt die Grafik auch noch einen Blick auf ihre Funktion als Kaltluftentstehungsgebiete. Kleingärten machen derzeit etwa 3,8 Prozent der Berliner Landesfläche aus. Betrachtet man alle Kaltluftentstehungsgebiete Berlins, dann machen Kleingärten dort aber 8,8 Prozent der Fläche aus, wie im Umweltatlas Berlin nachzulesen ist. Das bedeutet: Der Beitrag der Kleingärten für ein gesundes Stadtklima geht deutlich über deren lokale Flächenbedeutung hinaus.


Tabelle: Wärmeinseln in Berlin - Zusammenstellung der stark belasteten Flächen


Grünvolumen steigern

Aber nicht überall schöpfen die Kleingartenanlagen ihr klimatisches Entlastungspotenzial auch schon voll aus. Dies wird mit der Betrach- tung eines weiteren wichtigen Klimaindikators, dem Grünvolu- men (siehe Kasten, S.10) deutlich.

 Auch hier hat die Umweltverwal- tung für ganz Berlin eine detaillier- te Analyse erstellt. Es zeigt sich, dass Kleingärten im Berliner Durchschnitt lediglich über ein Grünvolumen von 1,5 verfügen (also 1,5 m³ Vegetation auf 1 m² Fläche). Dass dieser Wert noch deutlich zu steigern ist, zeigt ein Vergleich mit anderen Flächen- nutzungen: Friedhöfe beispiels- weise verfügen über eine Grünvolumenzahl von durchschnittlich 9,7; Parkanlagen über 7,2.


Wesentlich günstiger sieht die Situation der Kleingärten bei der Betrachtung der Versiegelung aus. Unversiegelte Flächen haben Einfluss auf die Minderung von Hochwasserereignissen bei Starkregen und tragen unter anderem zur Grundwasserneubildung bei. Mit einem Versiegelungsgrad von 27,3Prozent – wie im Umweltatlas Berlin nachzulesen – liegen sie um ein Vielfaches unter den Werten der bebauten Flächen, jedoch auch hier über den Werten von Friedhöfen oder Parkanlagen. Das bedeutet im Ergebnis, dass der lokalen Entlastungsnotwendigkeit der Berliner Kleingärten ein stadtklimatischer Qualifizierungsbedarf gegenübersteht: Durch mehr Grünvolumen und mehr Wasser in den Anlagen ließe sich ihre stadtklimatisch positive Funktion weiter verbessern. Wenn dies klimaresilient geschieht, dann profitiert davon nicht nur die Stadtgesellschaft, sondern profitieren auch die Kleingärtner selbst.

Hierzu bedarf es allerdings genauerer Untersuchungen der jeweiligen Kleingärten und ihrer mikroklimatischen Funktionalität. Vorbehaltlich dessen müssten dann allerdings Leitlinien einer gesetzeskonformen und praktisch umsetzbaren Verdichtung und Qualifizierung des Grünvolumens sowie der Wasserverfügbarkeit in Kleingärten ausgearbeitet werden. Dazu gibt es in Berlin dankenswerterweise gute Vorarbeiten.


Berlin wächst, wie wir immer wieder hören. Damit steigt der Druck auf Grün- und Freiflächen, nicht zuletzt auch auf die Klein- gärten. Aber Berlin macht sich durch sein Wachstum und seine Verdichtung auch anfällig für den kommenden Klimawandel. Schon heute sterben im Schnitt 1400 Menschen in ganz Berlin aufgrund von Hitzetagen – meist Ältere und chronisch Kranke. Nachzulesen ist das in dem Text „Quantification of heatstress related mortality hazard, vulnerability and risk in Berlin, Germany“ der Autoren Dieter Scherer, Ute Fehrenbach, Tobia Lakes, Steffen Lauf, Fred Meier und Christian Schuster. Er ist in der 144. Ausgabe des Magazins „Die Erde“ erschienen, eine Publikation der Gesellschaft für Erdkunde. 

Kleingärtner können einen Beitrag leisten

Während die rund 64 Verkehrstoten jährlich im Polizeibericht der Tageszeitungen vermerkt werden, sterben die Berliner Hitzetoten weitgehend unbemerkt in Alten- und Pflegeheimen oder Kliniken. Klima- und demographischer Wandel zusammen erhöhen die potenziellen Todesopfer – falls es nicht zu Anpassungsmaßnahmen kommt. Eine Fülle von Vorschlägen dazu haben wir der Senatsverwaltung im Rahmen des Vorhabens „Anpassung an die Folgen des Klimawandels in Berlin“ (AFOK) gemacht. Auch die Kleingärten können, ja müssen einen Beitrag zur verbesserten Anpassung an den Klimawandel leisten.

Was ist Grünvolumen?

Das Mess- und Planungskonzept „Grünvolumen“ wurde erstmals in den 1980er-Jahren in Hamburg entwickelt und erprobt und stellt aufgrund von automatisierten Erfassungen mittlerweile einen gut nutzbaren klimatischen Kernindikator dar.


Der Wirkzusammenhang zwischen Vegetation und lokaler Erwärmung wurde beispielsweise in Manchester (Großbritannien) nachgewiesen. Demnach liegt die lokale Erwärmung in hochverdichteten, vegetations- und wasserfreien Innenstadtbereichen bei dem Vierfachen des generell zu erwartenden Temperaturanstiegs. Selbst wenn also die globalen Anstrengungen zum Klimaschutz nach dem Pariser Klimaabkommen von 2015 erfolgreich sind, kann die Temperatur in den Innenstädten um bis zu 8 °C über das Temperaturniveau des Umlands ansteigen. Man spricht hier auch von städtischen Wärmeinseln.


Da ein Rückbau von Gebäuden und eine großflächige Entsiegelung vielfach aus ganz praktischen Gründen in Innenstädten nicht in Frage kommen dürfte, bleibt als pauschale Möglichkeit, und auch das haben eine Vielzahl von Studien gezeigt, die Steigerung des grünen Vegetationsvolumens durch das Pflanzen von Bäumen und Büschen, die durch ihre Verschattung, die Verdunstung und die Oberflächeneigenschaft der Blattmasse zu einer deutlichen Entlastung führen – auch an Gebäuden selbst übrigens. So lässt sich mit Vegetation der genannte lokale Anstieg der Umgebungstemperatur von den genannten 8 °C auf die ursprünglichen 2 °C absenken.