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Verfasst am 01.03.2018 um 15:00 Uhr

Nachhaltigkeit vordenken und vormachen

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Beim Klimaschutz ist Umdenken und das Handeln jedes Einzelnen gefordert, ist Prof. Dr. Klaus Töpfer überzeugt. Seit Langem gilt der ehemalige Bundesumweltminister und Leiter des Umweltprogramms der Vereinten Nationen in Nairobi als Botschafter der Energiewende, der durch großes Engagement globalen Umweltproblemen wie dem Klimawandel breite Aufmerksamkeit verschafft. Für ihn ist ein Wan del im Sinne der Nachhaltigkeit auf verschiedenen Ebenen wichtig, wobei er nicht nur die Politik in die Pflicht nimmt, sondern auch die Rolle der Zivilgesellschaft hoch einschätzt.

Vor 300 Teilnehmern aus Kleingartenwesen, Wissenschaft, Politik und Verwaltung hielt Mitte Januar Prof. Töpfer die Keynote zum 15. wissenschaftlichen Forum des Landesverbandes „Kleingärten – ein Mehrwert für den Klimaschutz?“. Der Mitbegründer des Instituts für Klimawandel, Erdsystem und Nachhaltigkeit in Potsdam (IASS) spannte dabei den Bogen vom Zusammenhang zwischen Klimawandel und den sich weltweit drängenden wirtschaftlichen, politischen und humanitären Problemen bis hin zu Berlins Gartenfreunden, die im Kleinen ihren besonderen Beitrag für die Stadtgesellschaft leisten, hier am Beispiel des Klimaschutzes verdeutlicht. Die Vorstellung der neuen Klimaschutz- Kampagne des Landesverbandes und ein Podiumsgespräch unter Publikumsbeteiligung rundeten das Symposium im CityCube im Rahmen der Grünen Woche ab. Durch die dreistündige Veranstaltung führte die Vizepräsidentin der Deutschen Gartenbaugesellschaft und Fernsehmoderatorin Heike Boomgaarden.


Globales Handeln

Klimawandel macht nicht vor nationalen Grenzen Halt. Für Prof. Töpfer lassen sich die globalen Umweltprobleme aber nur durch eine schnelle Energiewende unter Mitwirkung der Entwicklungsländer überwinden. Die Weltbevölkerung habe in den letzten 70 Jahren rasant zugenommen, besonders auf dem indischen Subkontinent und in Afrika. „Wenn wir wirtschaftliche, ökologische und humanitäre Stabilität in der Welt wollen“, brauche es eine „konsequente Entwicklungspolitik“ – auch mit Blick auf die Flüchtlingsströme auslösenden Ursachen gen Europa. Armut sei unmittelbar mit fehlender Energie verbunden. Um die Entwicklungsländer wirtschaftlich zu stärken, dürfe jedoch nicht auf die herkömmliche Energiegewinnung wie in den Industriestaaten zurückgegriffen werden, sonst könne man „Klima und Stabilität in der Welt vergessen“, warnte Klaus Töpfer. Er sieht die hochentwickelten Länder in der Pflicht, die Forschung und Entwicklung regenerativer Energien so voranzutreiben, damit die zukünftige Energieversorgung in den betroffenen südlichen Regionen gesichert werden kann.

Weltweit werden rund 70 % der energiebezogenen, das Klima schädigenden Treibhausgasemissionen in urbanen Ballungszentren er zeugt. Tendenz steigend, da die Urbanisierung zunimmt – in Deutschland leben schon heute drei Viertel der Bevölkerung in der Stadt. Urbane Naturräume helfen,

die Klimabalance zu halten, wobei Prof. Töpfer gerade Kleingärten für einen wichtigen Baustein bei der Durchgrünung der Stadt hält, die „im Klimabereich dazu beitragen, dass durch das Wachsen von Biomasse das schädliche Kohlendioxid gespeichert wird und dementsprechend genutzt werden kann.“


Erlebbare Natur

Der ehemalige Bundesumweltminister sprach von weiteren, für die Stadtgesellschaft wichtigen

Funktionen: Kleingärten sind nicht nur Frischluftschneisen, sondern Orte der sozialen Begegnung, der

Integration, des grünen Lernens – gerade Kindern lieferten sie wichtige Einblicke in die Naturkreisläufe „vom Säen, Ernten und dem Ver arbeiten der Produkte“. Klaus Töpfer ergänzte: „Wir sind in der Lebensmittelerzeugung so industrialisiert, dass man gar nicht mehr glauben kann, dass da einmal Natur davorstand“. Als weiteren Beitrag zum Klimaschutz sieht er neben der Herstellung erneuerbarer Energie über Solar im Kleingarten die Produktion von Lebensmitteln.

Was ein sich weltweit abzeichnender Trend ist, „Landwirtschaft wieder in die Städte zu bringen,

um die Bevölkerung zu ernähren.“ Die Sechs-Millionen-Metropole Singapur setzt aus diesem Grund

auf Kleingärten auf Dächern, vertikale Begrünung und Gemüseanbau auf Balkonen.

Multifunktionales Grün

Berlin verzeichnet einen jährlichen Zuwachs von rund 50.000 Neubürgern. Als Ziel einer stabilen, nachhaltigen Stadtentwicklung im Sinne des Klimaschutzes und der Klimaanpassung sieht Prof. Klaus Töpfer vor allem „die städtische Verdichtung, um Wohnungsbau in sozialverträglicher Weise und die klimaförderliche Durchgrünung dieser Stadt zusammenzuführen“. Multifunktionales Grün in der Stadt – Kleingärten seien die Antwort darauf, so Klaus Töpfer. Er empfahl den Forumsteilnehmern „dies noch weiter in die Breite zu tragen, sodass die für Stadtplanung Verantwortlichen gar nicht anders können“, als die grünen Oasen zu erhalten.


In der Rolle der Vordenker

„Wir Kleingärtner reden nicht nur über den Klimawandel, sondern tun auch etwas gegen die Folgen“, stellte Oliver Wächter, Verleger der Verbandspublikation „Gartenfreund“ und Mitglied der Arbeitsgruppe „Klima“, der Präsentation der Klimakampagne des Landesverbandes voran. Wobei das Thema „Klima“ seit Jahren einen inhaltlichen Schwerpunkt des Berliner Kleingartenwesens bilde, betonte er. Als Beispiele nannte er die seit vergangenem November laufende Klimaserie im „Gartenfreund“ in Zusammenarbeit mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) oder die Kooperation mit der Humboldt-Universität.


Mit ihrer Klimakampagne werden die Berliner Gartenfreunde zu Vorreitern in Sachen gelebter Klimaschutz in der Stadt. Folgen des Klimawandels gelte es durch bürgerliches Engagement abzumildern und den gesellschaftlichen Nutzen von Kleingärten als grüne Schneisen im Häusermeer klar aufzuzeigen, um auf dieser Basis deren Erhalt gegenüber Politik und Verwaltung einzufordern. „Denn in einer wachsenden Stadt müssen wir darauf achten, dass Stadtplanung auch immer etwas mit Grünplanung und nicht nur mit Bauplanung zu tun hat. Kleingärten sind ein unverzichtbarer Bestandteil“, so Oliver Wächter. Ziel sei es, die Parzellen in Klimagärten umzugestalten und das Wissen darum hinaus in die Stadtgesellschaft zu tragen. „Es werden Bildungsorte zum Anfassen für alle Garteninteressierten entstehen. Sie zeigen, wie Gärten im Zeichen des Klimawandels erfolgreich bewirtschaftet werden können“, sagte er. Die Klimakampagne würde vom Landesverband koordiniert und „in die Bezirksverbände und Vereine getragen. Dort muss sie gelebt werden; sie

funktioniert nur gemeinschaftlich.“

Informativ und vielseitig

Oliver Wächter nannte einige Kernpunkte der Kampagne: Schulung der Gartenfachberater zu Klimaberatern, die ihr Wissen als Multiplikatoren weitergeben. Ziel: Aufbau eines Kompetenznetzwerkes; Informationsveranstaltungen für Gartenfreunde zum Thema Klimawandel und -anpassung; Ausbau des Klimaschautafeln-Projekts mit der Humboldt-Universität; Gestaltung einer Klima-Broschüre sowie von Schulungsunterlagen; Aufbau von Musterklimagärten in den Bezirken sowie eines Klimalehrpfades, um Klimaeffekte erlebbar zu machen. „Die Klimakampagne ist nicht die einzige Aktivität der Berliner Kleingärtner. Sie sind breit aufgestellt“, ergänzte Oliver Wächter. Als Beispiele nannte er Schulgarten- und Seniorenparzellen, Naturlehrpfade, die Kooperation mit Gartenarbeitsschulen und mit der Senatsinitiative „Grün macht Schule“ sowie weitere soziale Projekte der Bezirksverbände und Kleingartenvereine.


Bewegendes Thema

Klimawandel, Klimagärten – ein Thema, das interessiert und aufrüttelt. Das folgende Podiumsgespräch ließ während seines gesamten Verlaufs Fragen und Wortbeiträge aus dem Publikum zu, daraus entwickelte sich schnell eine lebhafte Diskussion, gerade auch unter den Zuhörern. So entstand letztlich ein gemeinsam entwickeltes, vielschichtiges Bild: Bei den Anpassungsstrategien an den Klimawandel führt kein Weg am Berliner Kleingartengrün vorbei. Prof. Klaus Töpfer hob hervor, dass „man in der gesellschaftlichen Diskussion viele Faktoren einbringen muss, um Gewicht zu bekommen.“ Dabei sei Vielfalt eine Voraussetzung dafür, „mit seinen politischen Forderungen ernst genommen zu werden.“ Für ihn ein wichtiges Argument pro Kleingärten: der gesundheitliche Aspekt von Grün in der Stadt als Quelle des Wohlbefindens und der Lebensqualität. Diese Einschätzung konnte der Geschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Gartenfreunde Stefan Grundei nur bestätigen. Es sei „sehr clever“ von den Berliner Gartenfreunden, sich den Klimaschutz auf die Fahnen zu schreiben, andere Themen aber nicht aus den Augen zu verlieren. Er gab sich sicher, dass angesichts des hohen Konkurrenzdrucks in 20 Jahren alle Kleingartenflächen vorbildlich seien, „denn die anderen werden in einer wachsenden Stadt

nicht mehr da sein.“


Der „gesundheitlich-ökonomische Aspekt gehört mit in die Diskussion“, merkte die Leiterin des Schul-Umwelt-Zentrums Mitte Regina Furchtmann an. Sie verwies auf eine aktuelle südostasiatische Studie, nach der in China etwa 90 % der Studenten eine Brille tragen müssen. In Taiwan ergab die Analyse, dass inzwischen rund 84 % der Kinder kurzsichtig sind. Als Grund wird seltener Aufenthalt im Freien genannt. Fehlendes Tageslicht stoppt das Augenwachstum. Als Gegenmaßnahme richtet Taiwan jetzt Schulgärten ein.


Win-Win-Situation

Für Dr. Fritz Reusswig vom Potsdam- Institut für Klimafolgenforschung wird die Klimakampagne zum politischen Erfolg, wenn der Abschluss eines „Green New Deal“ gelänge, bei dem sich die Kleingärtner zu sozialen und ökologischen Dienstleistungen verpflichteten und „die Stadt im Gegenzug Bestandsgarantie“ gewähre. Fritz Reusswig vermisste bei der Gründiskussion Themen wie

Lebensqualität und Umweltgerechtigkeit in der Hauptstadt. Er verwies auf bis zu jährlich 4000 Hitzetote bei Hitze wellen in Berlin, „von denen kaum jemand spricht.“ Bei zunehmender städtischer Versiegelung müsse es eine öffentliche Debatte darüber geben, wie viele Tote akzeptiert würden – 5000, 7000?

Naturnah gärtnern

Landesgartenfachberater Sven Wachtmann ging auf klimatisch angepasste Gärten in der Praxis ein, was für ihn mit „naturnahem Gärtnern“ gleichzusetzen sei. Das Verständnis für den Naturhaushalt und natürliche Kreisläufe müsse geweckt werden. „Einen aufgeräumten

Garten sieht die Natur nicht vor“, sagte Sven Wachtmann. Er plädierte für den Einsatz neuer Technologien wie bei der Bewässerung. Bei Temperaturanstieg und Extremschwankungen zwischen Stark regen und Trockenperioden sei „ausreichender Bodenschutz sehr wichtig, damit die Nährstoffe nicht ausgewaschen werden“, so der Experte. Er setzt auf Gründüngung und Mischkultur. Sven Wachtmann forderte „mehr Kompetenzen für die Fachberater in Verbänden und Vereinen und einen Sitz möglichst im geschäftsführenden Vorstand, um mehr Weisungsbefugnisse“ zu erhalten. Das Interesse an einer Fachberaterausbildung sei in den vergangenen Jahren „sprunghaft angestiegen“, von rund 30 auf über 90 neue Absolventen. Seit vier Jahren unterstützt der Berliner Senat das Fort- und Weiterbildungsprogramm so wie Naturschutz- und Umweltprojekte in Kleingartenanlagen aus einem Sonderfonds.


Bericht und Fotos: Brigitte Einführ (Redakteurin, Berliner Gartenfreund)


Die Klimaserie ist in der Verbandszeitschrift "Berliner Gartenfreund" des Landesverbands Berlin der Gartenfreunde e. V. erschienen, mit freundlicher Genehmigung des Verlags W. Wächter auch hier.